Als ich gestern gegen Mitternacht in Potosi eintraf, leuchteten am anderen Ende der Stadt mehrere Lampen, die die Silhouette eines Berges preisgaben – den Cerro Rico. Das Schicksal der Stadt ist unmittelbar an diesen in mehreren Farben schillernden Berg geknüpft. 1545 wurde Potosi von den Spaniern gegründet, nachdem reichhaltige Silbervorkommen gefunden worden. Und da diese Vorkommen größer waren, als irgendwo sonst in der Welt, wuchs die Stadt. Alte Kolonialbauten zeugen häute noch von dem damaligen Reichtum – Potosi war zeitweise die reichste Stadt Lateinamerikas. Aber der Reichtum wurde zu Lasten Vieler erwirtschaftet, Bergwergsarbeit war Sklavenarbeit und Tausende fanden den Tod in den Minen.
Heute wird zwar kein Silber mehr gefördert, trotzdem sind die Minen noch aktiv, man sucht andere Mineralien. Als Tourist hat man die Möglichkeit die Minen und die Minenarbeiter bei ihrer Arbeit zu besuchen, es gibt geführte Touren. Einer dieser habe ich mich angeschlossen. Gegen 15 Uhr wurde ich von einer Reiseführerin abgeholt, es ging zur Umkleidestelle am Fuße des Berges, an dem ich auch noch die üblichen „wenn dir die Decke auf den Kopf fällt, haften wir nicht“-Formulare unterschreiben durfte. Zudem traf ich auf meine Gruppe, die in erster Linie aus einer brasilianischen Reisegruppe sowie eine dreiköpfigen Familie aus La Paz bestand. Umziehen, komplett in gelb kleiden, Helm auf, Lampe dran…witzige Erinnerungsfotos schießen – die Stimmung ist ausgelassen. Im Bus geht’s die halbe Strecke hoch, wo wir halt machen. Am Markt der Bergarbeiter halt machen. Es ist üblich, dass man den Arbeitern Geschenke mitbringt, das erleichtert später den Umgang. Also kaufen wir mehrere Tüten-Kokablätter und einige Liter süße Getränke. Zudem eine Flasche „bolivischen Alkohol“ – 96%! Ein Schluck auf den Boden soll Tio, den Teufel besänftigen… ein Schluck für den Magen sorgt für ein angenehmes Brennen. Weiter geht’s zum Eingangsschacht auf ca. 4.600m.
Letzte Instruktionen, bevor wir im Gänsemarsch in die feuchte Dunkelheit vorrücken. Es geht gebückt entlang der Schienen, durch Schlammpfützen watend. Der Helm sitzt deutlich besser, nachdem man ihn die ersten Male an die Decke gestoßen hat. Nach 5 Minuten drehen die ersten beiden Brasilianer um, sie haben Platzangst und trauen sich den weiteren Weg nicht zu – weise Entscheidung, bis hier hin war´s leicht. Kurze Zeit später hört man ein Poltern, wir rennen die letzten Meter zu einer Kurve, wo abseits der Schienen etwas mehr Platz ist. Kurze Zeit später taucht auch schon ein Wagen, randvoll gefüllt mit Steinen auf.
Gezogen wird er von zwei Männern, zwei weiter drücken. In unserer Nähe rutscht er von den Schienen, die Arbeiter gönnen sich Rast, bekommen Koka-Blätter und Süßgetränke, die angesichts der schweißtreibenden Arbeit besser sind als reines Wasser. Kurzes Gespräch, trotz der Schinderei sind sie freundlich und informativ, es ist ihre letzte Fuhre für heute. Gegen 18 Uhr machen sie normalerweise Feierabend, um 3 Uhr am nächsten Morgen geht’s weiter – für Feiern bleibt da wenig Zeit. Das Gewicht der Fuhre? Abhängig, meist zwischen 1.500 und 2.000kg! Mit vereinten Kräften wird der Wagen wieder auf die Schienen gesetzt und es geht die letzten Meter bergauf zum Schachtausgang. Echt bedrückend, die Kerle sind wohl jünger als ich, sehen aber deutlich älter aus. Weiter geht´s auch für uns. Weitere Wagen kommen uns entgegen, selbes Prozedere. Die Gespräche sind beklemmend, einer der Arbeiter hat ein altes Deutschland-Trikot mit der Nummer 14 an. Muss mal herausfinden, wer das war.
Die Stimmung in unserer Gruppe ändert sich, es wird kaum noch gesprochen. Die Schächte werden tiefer. Es gibt keine Belüftungssysteme, einige Balken, die die Decke abstützen sind in der Mitte angebrochen. Das Atmen fällt schwer, klar man ist in einer ungewohnten Höhe, zudem ist es in gebückter Position noch deutlich erschwert. Staub liegt in der Luft, ich versuche durch die Nase zu atmen, so gut es geht – gelingt nicht immer, der Weg ist zu anstrengend. Und das obwohl wir kein Gewicht vor uns herschieben. Wir machen uns auf den Rückweg, an der letzten Kreuzung geht ein Teil der Gruppe direkt die letzten Meter Richtung Ausgang.
Drei Brasilianer und ich entschließen uns noch dem Tio, dem Teufel bzw. Gott der Bergarbeiter, zu opfern. Hierzu müssen wir erstmal einen Gang entlang kriechen, der alles bisherige in den Schatten stellt. Auf Knien geht es vorwärts, trotzdem stoße ich mir den Rücken. Fotos werden keine mehr gemacht. Sind nur 10 Meter – danach geht es halbwegs aufrecht weiter. Um eine Kurve herum und da sitzt er vor uns. Der Tio, Onkel, breites Grinsen, karnevalsmäßig geschmückt – mehrer Zigaretten im Mund, das kann nicht gesund sein. Zu seinen Füßen eine weitere Opfergabe – ein Lama-Fetus! Wir bieten ihm unsere Zigarette dar und ruhen uns kurz aus. Unsere Reiseführerin erklärt uns den Hintergrund, wie es zum Begriff „Tio“ kam. (Ich bin aus irgendeinem Grund in der spanischen Reisegruppe gelandet, also gebe ich wieder was ich glaube verstanden zu haben;) ) Als hier die Sklavenarbeiter vor hunderten von Jahren eingeschlossen wurden, meist für mehrere Monate bzw. bis zu ihrem Tod, kam es zu Kommunikationsproblemen mit den Spaniern. Die Spanier sprachen davon einen Gott, deus, anzubeten. In der Eingeborenen-Sprache gab es aber kein „t“ in der Aussprache. Also wurde ein „teus“ draus, was die Spanier nicht kannten und zu einem „Tio“ ummodelten… Wie auch immer, die Statue ist 300 Jahre alt, ihr fehlt lediglich die rechte Hand und sie strotzt noch vor Manneskraft.
Wir machen uns aus dem Tunnel wieder ans Tageslicht. Auf der Talfahrt gerät man ins Grübeln. Die Männer sterben meistens nicht an Unglücken in der Mine. Oft ist bereits nach 10 Jahren wegen Staublunge Schluss – endgültig! Die Bedingungen sind hart, alt wird man hier nicht. Und wenn man einmal drinne ist, kommt man so schnell nicht heraus! Mir haben bereits zwei Stunden unter Tage gereicht!
Mit den Brasilianern geht’s dann abends noch Essen und ein paar Bierchen trinken, bis es für sie weiter nach Uyuni geht. Zu Sylvester in Cusco, Peru könnten wir uns wieder treffen. Mal sehen, ob ich so schnell reise. Angesichts der Regenzeit in Bolivien und Peru durchaus möglich.
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