Sonntag, 11. Dezember 2011

Cachay?

Bei meiner Abfahrt strahlt die Sonne wieder über Bariloche – na schönen Dank auch! Die erste Etappe nach Osorno soll 4-6 Stunden gehen, je nachdem, wielange uns die Grenzpolizei aufhält. In meinem Bus fährt eine Gruppe argentinischer Jugendlicher mit, deren Outfit und Haarpracht an ihre Idole der 70er Jahre erinnert, ich stell mich also auf eher 6 Stunden Fahrt ein. Einer rülpst und die ganze Gruppe antwortet mit einem deutlichen „Schulz“ und klopfen sich gegenseitig auf die Rübe – deutscher Einfluss ist stark um Bariloche! Auf Landstraße geht es vorbei an himmelblauen Seen, die bei strahlendem Sonnenschein um ein Vielfaches attraktiver erscheinen.
Nach dem argentinischen Grenzposten fahren wir noch 30 Minuten durchs Niemandsland, die Landschaft verändert sich, während wir den Serpentinen folgend immer höher kommen. Immer mehr alte, knöchrige, tote Bäume säumen die Strecke und sorgen neben Gebirgsflüssen für unwirkliche Szenerie. Der Himmel zieht sich zu, und der Boden wird immer mehr von einer grauen Schicht bedeckt, teils meterhoch – das kann keine Asche sein. Minuten später fahren wir durch eine Mondlandschaft. Keine Pflanze lebt mehr. Einen See erkenne ich an den schemenhaften Umrissen und einem etwas dunkleren Grauton. Die Bäche führen eine braune Brühe runter ins Tal. Es ist tatsächlich Asche! Meterhoch!
Am chilenischen Grenzposten dürfen wir uns im Kreis aufstellen, Taschen zu unseren Füßen. Ein Drogenspürhund geht im Innenkreis an uns vorbei und schnüffelt – chilenisches Glücksrad. Beim zweiten Durchgang findet er gefallen an meinem linken Schuh, dann zieht ein Mann seine Aufmerksamkeit auf sich – er isst einen Hot Dog. In Osorno gibt es tatsächlich jede Menge Auswahl für den Anschluss nach Santiago. Beim ersten Anbieter entscheide ich mich für ein Ticket für umgerechnet nicht mal 15 Euro. 3 Stunden Aufenthalt schlage ich mir in der Cafeteria mit Empanadas und MTV um die Ohren. Shakira trällert und schmachtet auf der Bühne und sieht dabei einfach gut aus – ich freu mich auf Kolumbien, mal schauen, ob sie gerade ein Konzert gibt. Ich unterhalte mich etwas mit dem Wirt und bestelle mir auf sein Anraten einen Whiskey gegen die Erkältung. Er meint es gut mit mir – doppelte Portion, viel hilft viel! In den Top 3 taucht ein alter Bekannter auf, Ricky Martin! Hier darf er noch von Liebe und Herzschmerz trällern – wenn auch nur im Duett. Mit etwas Verspätung steig ich in den Bus, schlagartig wird klar, warum er so günstig war… HOLZKLASSE! Am nächsten Morgen komme ich etwas versteift, dafür aber mit ziemlicher Verspätung und hoffnungslos übermüdet in Santiago an. Ein leichter Smog-Nebel liegt über der Stadt und erschwert den Blick auf die umliegenden Hügel. Nach so einer Nacht genehmige ich mir etwas Luxus, Hotel Paris, Einzelzimmer für 22 Euro!
Meine Beine möchte ich mir auf einem Stadtspaziergang a la Lonely Planet vertreten. Erster Halt: Kaffee trinken in der Nationalbibliothek. Cafe geschlossen, dafür aber kostenloses Internet. Kurze Info bei Couchsurfing hinterlassen, dass es mich gibt, dann weiter zu Santa Lucia. Hügel, alter Gemäuer, botanischer Garten. Erholungsgebiet vor dem Trubel der Stadt und Rückzugsort für Verliebte. Ich genieß die Aussicht über die Stadt, als mein Telefon klingelt…Unterdrückte Nummer. Rudolfo meldet sich, er würde mich gerne zu einem BBQ mitnehmen. Ich kenne ihn nicht, ich weiss nicht genau wo es hin geht und habe nur einen Vornamen – natürlich sage ich zu! Vorher aber noch kurz eine Freundin über den letzten Aufenthaltsort informiert;). Während ich in einer Bar warte, melden sich noch drei andere Couchsurfer – hier funktioniert die Community!
Rudolfo kutschiert mich zu einem großen Park, wo die halbe Stadt diesen Sommertag nutzt, um zu grillen und zu entspannen. Wir sind eine Gruppe aus 25 Couchsurfern, Stunden mit anregenden Gesprächen, viel Bier und Wein und noch viel mehr Fleisch folgen. Man versucht mir den chilenischen Slang beizubringen. Das einzige was hängen bleibt ist „Cachay“, was prinzipiell hinter jeden Satz gehängt werden sollte und sich am ehesten mit dem Jack Sparrowschen „Klar soweit?!“ übersetzen lässt. Abends habe ich die Wahl zwischen einer Abschiedsparty in einer Bar oder einem Konzert für die Menschenrechte. Im Kleinwagen machen wir uns zu acht auf dem Weg zum Konzert, recht kuschelig. Kostenloser Eintritt, wir kommen rechtzeitig zur Zeremonie der Erinnerung an die Verfechter der Menschenrechte und dem Opfer in diesem Kampf. In Zeiten der Studentenproteste in Chile hat das Thema wieder aktuelle Bedeutung gewonnen.
Hinter einer Kirche geht die Sonne unter, als der erste Act sich mit Pauken und Trompeten (ehrlich!!) seinen Weg durch die Zuschauer Richtung Bühne bahnt. Es wird direkt gefeiert! Im Stile einer Janis Joplin, barfuß und mit Accoustik-Gitarre klagt die nächste Sängerin die Mächtigen des Landes an. Polizei, Regierung, Korruption und Unterdrückung sind die Feindbilder des Abends. Die Stimmung steigt, kein Interpret lässt sich die Chance entgehen ein paar persönliche Worte Richtung Polizei und Regierung zu schicken – ich verstehe recht wenig, der Menge gefällts und mich reist es mit.
Wieder ein Solo-Künstler, erinnert an Bob Dylan, Accoustik-Gitarre, Mundharmonika, sitzt auf seinem Stuhl hinter ihm ein Spruchband, welches auffordert alle politischen Gefangenen freizulassen… Peace Zeichen, der süße Geruch von Mariuhana steigt auf – es scheint besser zu werden mit meiner Erkältung, ich kann wieder riechen. Jetzt geht´s in die Endphase. Eine Rap-Band tritt auf und heizt das Publikum weiter an. Rote Flaggen werden geschwenkt. Bange Blicke zu den Eingängen, die letzter Veranstaltung dieser Art wurde vorzeitig beendet – stilecht mit Tränengas und Wasserwerfern! Die ersten verlassen die Arena, Eltern mit ihren Kindern. Kapuzen werden tiefer ins Gesicht gezogen, sollen sie doch kommen – heute fühl ich mich links, meiner Vorfreude steigt – das ist das Leben! Aber es bleibt ruhig.
Ein kleiner Absacker bzw. Frühstück noch in einer Bar. Dann laufen wir zu dritt durch dunkle Gassen auf der Suche nach einem Taxi. In einer Seitenstraße liegt ein Mann verkrümmt auf dem Boden, zwei Hunde stehen über ihm und wedeln schon freudig mit dem Schwanz. Ein Taxi-Fahrer steht daneben und macht sich nicht mal die Mühe, die Hunde zu verscheuchen. Das war das Leben. Wir gehen weiter und nehmen das nächste Taxi.

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