Samstag, 31. Dezember 2011

Nabel der Welt

Kaum zu glauben, nach der Death Road habe ich noch 4 weitere Tage in La Paz verbracht. Was gibt es zu berichten? Eigentlich nichts! Es hat geregnet, dann hat es geschüttet, es war kalt, nass, grau! Richtiges Weihnachtswetter! Reisen kann echt langweilig sein. Von den Umständen hab ich mich ne Weile runterziehen lassen, bissi Filme geschaut, kurz über den Hexenmarkt geschlendert und gelangweilt – während man überall mitbekommt, dass Weihnachten gefeiert wird. Das Weihnachtsfest in unserem Hostel fand am 25. Dezember statt. Truthahn, Süßkartoffeln, Wein und Shots für umgerechnet 7 Euro… Ist dann in Trinkspielen ausgeartet. Kings Cup – ewig nicht mehr gespielt und trotz meines fortgeschrittenen Alters habe ich mich doch noch ganz gut gegen die jüngeren behauptet, was man nicht von jedem behaupten kann. Manch einer hat die Nacht andachtsvoll, in Gebetshaltung über der Toilette verbracht – Weihnachten eben.
Trotz dieses amüsanten Abends stand der Entschluss fest, ich muss recht schnell weiter, das Wetter halt ich nicht länger aus. Vier Stunden Busfahrt nach Copacabana…am Titicacasee. (Der Strand ist weniger schön, keine Bikinis, und weniger Mädels, die man in selbigen sehen wollen würde – also ganz anders als Copacabana in Rio!). Während ich noch dachte, in La Paz günstig weggekommen zu sein (6,5€ die Nacht in nem 8er Dorm, inkl. Ein Bier pro Abend gratis aus der eigenen Brauerei), setzt Copacabana neue Rekorde…2,8€ die Nacht im Einzelzimmer! In Bolivien kann man sich reich reisen, wenn bloß nicht Regenzeit wäre! Am nächsten Morgen geht’s zeitig mit dem Schiff auf die Isla del Sol und oh Wunder: Es scheint die SONNE! Die Isla der Sol ist für die Inka der Nabel der Welt, hier soll ihr Gottvater auf die ersten Menschen getroffen sein. Und Sonne und Mond finden hier ihre Ruhe – in einem Felsen. Gleich gegenüber die Opferstelle für Lamas!
Nach einer Führung im Nordteil konnte man entweder mit dem Boot Richtung Südteil fahren oder 3 Stunden über die Insel wandern. Die Sonne scheint, ich laufe und schließe mich eine Gruppe Brasilianer an – und fange mir nen ordentlichen Sonnenbrand an den Ohren ein! Die Wanderung in 4.000m Höhe über einige Hügel war nicht gerade Zuckerschlecken, der Ausblick entschädigt aber für alles und ein paar Kokablätter in den Backen helfen über das Gröbste. Die Unterhaltung in meiner Gruppe findet auf Spanisch statt, erst auf den letzten Metern finde ich heraus, dass zumindest einer fließend Englisch spricht. Meine Ansicht zur Euro-Krise auf Spanisch wieder zu geben, hatte mich doch etwas überfordert. Am Abend dann noch den Sonnenuntergang beobachtet, nicht sehr spektakulär aber nach 4 Tagen Regen…
Morgens geht’s dann mit dem Bus weiter Richtung Cusco, natürlich regnet es wieder. Am Grenzübergang zu Peru weisst ein Schild auf den Umstand hin, dass Peru frei von der Vogelgrippe ist. Gut zu wissen, auch wenn ich alternativ mit Meerschweinchen Vorlieb nehmen würde. Peru ist anders als Bolivien. Zwar regnet es auch hier, aber die schroffen Berghänge hier sind nicht so kahl wie in der Grenzregion zu Chile, sondern alle mit grünen Pflanzen überwuchert – Regenzeit?! Die zweite Fahrthälfte von 6 Stunden gestaltet sich etwas ungemütlicher, eine peruanische Großfamilie zieht wohl um. 8 Erwachsene, 3 Kinder und circa 20 Säcke (von denen ich keinen alleine getragen hätte) finden in den letzten 4 Reihen Platz… Ach ja, und ich auch! Musik an, durch den Mund atmen und immer dran denken, das Ticket war günstig!!
In Cusco habe ich in der ersten Nacht zunächst ein 4-Bett Zimmer für mich alleine. Vor Sylvester wird es vollbelegt sein. Die Stadt gefällt mir auf Anhieb, etwas touristisch zwar aber mit alten Kolonialbauten und noch älteren Inka-Bauten genau das Richtige fürs Neujahr. Mittags esse ich in einem einheimischen Lokal: Suppe, Getränk, Nudeln, Forelle für 1,40€ - abends bereue ich die Entscheidung! Treffe die Brasilianer aus Potosi wieder, mit denen ich mich abends in einem Pub mit Live Musik wieder treffe. Der Weg dorthin wird jäh unterbrochen…danach geht’s erstmal in die Apotheke! Der Abend gestaltet sich sehr witzig. Pearl Jam Cover Band, es wird ordentlich gerockt und ich bekämpfe meine Magenprobleme (professionell) mit einigen Caipis… Morgens lasse ich aus Sicherheitsgründen das Frühstück aus! Warte am Markt auf den Bus, der mich zu einer Tour zu alten Inka-Ruinen abholen soll. Während ich warte schleppt sich ein altes Männchen an mir vorbei – ein geschlachtetes Alpaka auf dem Rücken. Netter Anblick.
Die Tour führt uns ins heilige Tal der Inka. Erster Stopp in Pisac. Trotz Regen begeistert die Baukunst der Inka, die hier direkt an die steilen Berghänge über 700 Terrassen für die Landwirtschaft anlegten. Daneben alte Ruinen. Nach dem Mittagessen geht weitern nach Ollantaytambo (ja, ich hab den Namen nochmal im Reiseführer nachgeschlagen!). Weitere Inkaterrassen, 700 Jahre alte Pflastersteine. Die Stadt wird von einer Bergfestung überwacht und ist ein ausgeklügeltes Beispiel für die Planung der Inka. Die Terrassen sowie die Stadt haben aus der Luft betrachtet die Form eines Lamas – dessen Auge (ein Sonnentempel) wird genau für eine Woche beleuchtet. Während der Wintersonnenwende! Am gegenüberliegenden Berghang trohnt die Fratze ihrer obersten Gottheit, wacht mit grimmigem Blick über die Stadt. Daneben ein weiteres Gebäude, vermutlich ein Tempel für ihn. Beleuchtet für eine Woche – während der Sommersonnenwende.
Und als wäre das nicht schon Leistung genug: Der Sonnentempel ist aus riesigen Steinklötzen erbaut, allerdings von einem Steinbruch am gegenüberliegenden Ende des Tals. Also erstmal den Berg runter, über eine Brücke am Fluss und über Rampen den Berg wieder hoch. Kleinere Klötze (wobei klein nicht wirklich klein heisst) stellen einen Schutz / Puffer bei Erdbeben dar. Wenn einem nicht schon angesichts des malerischen Tals der Mund offen steht, ist es spätestens jetzt der Fall!



Letzte Station des heutigen Trips ist Chinchero. Typisches Andendorf, typisch touristisch. Hochburg der Weberei im Inkareich und Geburtsort des Regenbogens. Uns wird demonstriert, wie Schaaf- bzw. Alpakawolle zu Fäden gesponnen wird und mit welchen Naturalien welche Farbstoffe zum Einfärben gewonnen werden. Babyalpaka ist besonders weich, gut dass ich noch 3 Monate reise – ich hätte sonst mehr eingekauft.;)
Abends dann mit einem rumänischen Investmentbanker aus New York zum Essen verabredet. Ich bestell für den Sylvesterabend ein Meerschweinchen vor. Zur Stunde lebt es wohl noch und isst vergnüglich sein Henkersmahl. Aber es muss frisch zubereitet werden und wird 4 Stunden vorher geschlachtet… Es lebt also jetzt noch knapp 3 Stunden. Ich begnüg mich mit Alpaka-Lasagne und bediene, echt schmackhaft! Abends geht’s nochmal in den selben Pub vom Vortag. Selbe Band und feinster Rock aus den 70ern, beste Stimmung. Das war’s mit nem ruhigen Abend – um halb 2 schwanke ich Richtung Hostel. Heute darfs ruhig noch ne Steigerung geben. Guten Rutsch bzw. Gutes neues Jahr!!

Freitag, 23. Dezember 2011

Death Road – überlebt

Auch wenn mir bewusst ist, dass ich mit der Überschrift womöglich jegliche Spannung nehme, wird der geneigte Leser mit etwas logischem Verständnis sowieso erahnen, dass ich kaum in der Lage wäre, eine weiteren Beitrag zu verfassen, wenn ich die Death Road nicht überlebt hätte… ;)




Ich bin vor zwei Tagen in La Paz angekommen und die wohl größte Attraktion für (verrückte) Traveller ist eine Mountain-Bike Tour auf der Death Road (Yungas-Straße), die von La Paz nach Coroico führt. Kurz zu den technischen Details: Die Death Road wurde in den 1930ern während des Kriegs mit Paraguay von paraguayanischen Häftlingen erbaut und war lange Zeit eine der wenigen Straßen, die das Hochland mit dem Amazonasgebiet verband – daher war sie bis Ende 2006 als eine neue, sichere Straße erbaut wurde, sehr verkehrsreich. Noch heute ist sie sehr beliebt bei den Einheimischen Trucks, weil sie kürzer (und günstiger) ist. Die Straße gilt als die gefährlichste Straße der Welt, die noch bis 2006 auf einer Strecke von 60km jährlich zwischen 150 und 300 Todesopfer forderte! Einspurige Straße, kein Asphalt, keine Leitplanken…Hinzu kommt Nebel und Regen, Schlammlawinen, Steinschlag und eine enorme Höhendifferenz (wir haben etwa 45km zurückgelegt und dabei 3.400 Höhenmeter überwunden).
Soweit so gut, nach recht wenig Schlaf geht’s morgens um 7 Uhr zum ausgemachten Treffpunkt, wo ich auf vier andere Mountain-Biker (zwei Australier zwei Kanadier) und unseren Guide treffe. Der Guide macht von Beginn an einen guten Eindruck. Rotes Weihnachtsmann-Kostüm, halb Australier, halb Neuseeländer… hört auf den Namen Santa – wird sicher riesig. Auf der 45 Minuten Fahrt zum Gipfel wurden die bisherigen Mountain-Bike Erfahrungen ausgetauscht. Auf die Frage, wer schon Downhill-Erfahrung habe, gingen 4 Hände in die Höhe und ich murmel etwas von, ich bin schon mal Fahrrad gefahren. Verdammt, da fahr ich auf der gefährlichsten Straße mit 5 Leuten die alle schon ihre Erfahrungen haben… Naja, wird schon. Am Gipfel angekommen, werden die Bikes ausgegeben und 10 Minuten im Flachen geradelt, um sich vertraut zu machen. In der Höhe reicht das schon aus, um ins Schwitzen zu geraten. Dann mit 96%igen Alkohol Mutter Erde, unsere Räder und unser Magen gesegnet.
Danach geht’s los, anstatt über die normale, noch asphaltierte Piste zu fahren, denkt sich Santa, wir könnten doch einen Single Trail – also direkt den Berg runter – fahren um etwas tiefer auf die Strecke zu kommen. Klasse Idee, alle waren begeistert, bei mir ging die Pumpe… Aber wer wird schon allein die harmlose Strecke fahren wollen? Direkt am ersten Hang gibt es den ersten Überschlag, ein Kanadier hat die Vorder- und Hinterradbremse verwechselt… Kann mal passieren, keine bleibenden Schäden. Ich hab mich im Schneckentempo (heldenhaft) als letztes den Hang hinuntergestürzt und blieb oh wunder unverletzt! Nach 3 weiteren Hängen von dem Kaliber, kommen wir auf den obersten Teil der, hier noch asphaltierten, Death Road. Sattel höher gestellt und mit hohem Tempo geht’s über Serpentinen auf der zweispurigen Straße durch wahnsinnige Landschaft in Richtung Tal.

Die Tempo 35 Schilder gelten scheinbar nur für die Autos und LKWs, die wir im Schuss reihenweise überholen! Sie spielen größtenteils mit und geben uns Zeichen, wenn wir die Kurve nicht einsehen können, dass wir trotzdem überholen können. Nur einmal wird’s eng, als ich wohl das Zeichen missverstanden habe und mich zwischen zwei LKW durchwurschtel. Wir legen an einer Mautstelle (für die neue Straße) einen Zwischenstopp ein. Von hier geht es 8 Kilometer bergauf, die wir relativ schnell in 25 Minuten bewältigen. Oben angekommen biegen wir auf die Yungas Straße ein. Schotterpiste, Nebel, man blickt keine 30m weit! Wir laden die Räder wieder vom unserem Begleitfahrzeug und bekommen letzte Instruktionen.



Auf der Death-Road gilt Linksverkehr, damit der Fahrer des Fahrzeugs abschätzen kann, wie weit es bis zum Abgrund ist. Zu unserem „Schutz“ hat Santa ein Seil dabei. 120m lang und angesichts der Abgründe von deutlich über 300m eher nice to have! Es geht los. Linksverkehr bedeutet für uns, dass wir auf der Seite des Abgrunds fahren. Bammel macht sich breit. Die Straßen hier sind noch etwa 6m breit, aber angesichts der ganzen Steine und des Schotters schüttelt es einen extrem durch. Ich beschäftige mich hauptsächlich mit Bremsen und schiele ab und an in die grüne Schlucht. Der Nebel verhindert, dass man allzuviel nach unten sieht. Eigentlich beneidenswert! Jedoch hat man einen guten Blick auf die Kreuze am Wegesrand, die von einigen unglücklichen Geschichten erzählen.


Gegen 12 Uhr gibt es Mittagsessen. Die Sonne kommt durch. Wir haben schon ca. 10km hinter uns. Die Aussicht wird besser, aber jetzt liegt das engste Teilstück vor uns. Der nächste Kilometer geht über eine Piste, die gerade mal etwas mehr als 3m Breite aufweist. Rechts von uns die Steilwand nach oben und vereinzelte Wasserfälle, die auf die Strecke plätschern. Links von uns, dasselbe bloß viel beängstigender. Dieses Teilstück weist auch die höchste Todesrate auf. Einst ist ein Bus mit 100 Insassen in die Tiefe gerissen worden, als er vergeblich versuchte, rückwärts einem ankommenden LKW Platz zu machen – naja, Platz hat er schon irgendwie gemacht. Ich halte mich auf dem Teilstück betont rechts. Mir doch egal, ob ein Auto kommt – dann kann man immernoch weitersehen! Und auch diesen Part überstehen wir heile.


Kurzer Zwischenstopp, Wasserreserven auffüllen und hinunter geht es aufs längste Teilstück. Zum Teil mit breiten Strecken, die einen durchatmen lassen. Die Handflächen tun mir mittlerweile schon weh von den ganzen Schlägen. Es wird deutlich wärmer, schwül, tropisch! Wir ziehen unsere Regenklamotten aus und fahren in kurzen Hosen. Wird schon gut gehen und verspricht Kühle. Hier bekommt man einen ordentlichen Speed drauf und angesichts, dass die Straßen etwas breiter sind lässt man diesen auch gerne zu. Ich hab einigen Abstand zu meiner Gruppe, als ich auf eine Kurve zu fahre. Bin in der Straßenmitte, ein Truck kommt um die Ecke und warnt sofort mit Aufblenden und Hupen… Als würde das Helfen! Es wird verdammt knapp. 1,5m zwischen LKW und Abgrund, der hier von einigen Sträuchern verdeckt wird. An meinem linken Bein spüre ich kurz ein Ziehen, es geht scharf in die Kurve. Bremse ab, muss durchatmen und was trinken! Glück gehabt! 10m vor mir zieht ein Adler vorüber, der hatte sich sicher schon auf Frischfleisch gefreut. Blick nach hinten. Am Gegenhang sieht man einzelne baumlose Stellen. Entweder sind hier mal Schlammlawinen oder Autos den Abhang hinunter – oder beides! Mein linkes Bein blutet – bin dem Dornengestrüpp zu nahe gekommen.
Ich schließe zur Gruppe auf, wir durchqueren noch zwei Bäche und gelangen ins Tal, wo wir in einer Wildtier-Station mit einem kühlen Bier empfangen werden. Eine Stunde früher, als erwartet, wie uns einer der Volunteers mitteilt. Kaltes Bad im Fluss, Mittagessen und Führung durch die Station. Bolivien verbietet, das Halten von Wildtieren… Allerdings auch, dass sie jemals wieder in Freiheit gelangen, wenn sie in menschlicher Obhut waren. Und so fristet diese Station ihr Dasein. Am frühen Nachmittag geht es im Van die Death Road wieder hinauf zurück nach La Paz. Der Platz auf der rechten Seite garantiert atemberaubende Blicke in die Tiefe.



Abends nehme ich mir ein Taxi, um zum Hostel zu gelangen. Stau, ein Gewitter mit Platzregen zieht auf – und plötzlich fängt es an zu Graupeln. Frag nich nach Sonnenschein. Mein Taxifahrer stellt den Wagen ab, ihm ist es zu gefährlich weiterzufahren. Die Straße ist weiß, wir verweilen 1,5 Stunden und beobachten andere Fahrzeuge, wie sie vergeblich den Berg versuchen hochzufahren und mehr oder weniger erfolgreich wieder herunterrutschen – zweimal kracht es in unmittelbarer Nähe. Da überleb ich die Death Road und dann das! Weiße Weihnacht? ;) Irgendwann geht es mehr oder weniger weiter. Hauptstraßen sind verstopft wir kommen nur in die Nähe meines Hostels. In Flip Flops und Badehose mach ich mich auf die letzten 10 Minuten. Warme Dusche entschädigt für alles. Heute heißt es Wunden lecken. Die Kratzer am Bein sind harmlos. Lediglich der Muskelkater in den Handflächen und am Allerwertesten machen zu schaffen, sind aber nichts gegen das, was andere davongetragen haben. Ein Australier aus meinem Hostel läuft mit einer Armschlinge rum – Schulter angeschlagen. Ein Mädel aus einer anderen Gruppe hatte deutlich weniger Glück (oder deutlich mehr): Abgestürzt und schwer verletzt geborgen. Heute werde ich es ruhiger angehen lassen. Vllt werden nachher im Hostel noch Plätzchen gebacken – Frohe Weihnachten alle zusammen!!

Montag, 19. Dezember 2011

Cerro Rico - Hölle unter Tage

Als ich gestern gegen Mitternacht in Potosi eintraf, leuchteten am anderen Ende der Stadt mehrere Lampen, die die Silhouette eines Berges preisgaben – den Cerro Rico. Das Schicksal der Stadt ist unmittelbar an diesen in mehreren Farben schillernden Berg geknüpft. 1545 wurde Potosi von den Spaniern gegründet, nachdem reichhaltige Silbervorkommen gefunden worden. Und da diese Vorkommen größer waren, als irgendwo sonst in der Welt, wuchs die Stadt. Alte Kolonialbauten zeugen häute noch von dem damaligen Reichtum – Potosi war zeitweise die reichste Stadt Lateinamerikas. Aber der Reichtum wurde zu Lasten Vieler erwirtschaftet, Bergwergsarbeit war Sklavenarbeit und Tausende fanden den Tod in den Minen.
Heute wird zwar kein Silber mehr gefördert, trotzdem sind die Minen noch aktiv, man sucht andere Mineralien. Als Tourist hat man die Möglichkeit die Minen und die Minenarbeiter bei ihrer Arbeit zu besuchen, es gibt geführte Touren. Einer dieser habe ich mich angeschlossen. Gegen 15 Uhr wurde ich von einer Reiseführerin abgeholt, es ging zur Umkleidestelle am Fuße des Berges, an dem ich auch noch die üblichen „wenn dir die Decke auf den Kopf fällt, haften wir nicht“-Formulare unterschreiben durfte. Zudem traf ich auf meine Gruppe, die in erster Linie aus einer brasilianischen Reisegruppe sowie eine dreiköpfigen Familie aus La Paz bestand. Umziehen, komplett in gelb kleiden, Helm auf, Lampe dran…witzige Erinnerungsfotos schießen – die Stimmung ist ausgelassen. Im Bus geht’s die halbe Strecke hoch, wo wir halt machen. Am Markt der Bergarbeiter halt machen. Es ist üblich, dass man den Arbeitern Geschenke mitbringt, das erleichtert später den Umgang. Also kaufen wir mehrere Tüten-Kokablätter und einige Liter süße Getränke. Zudem eine Flasche „bolivischen Alkohol“ – 96%! Ein Schluck auf den Boden soll Tio, den Teufel besänftigen… ein Schluck für den Magen sorgt für ein angenehmes Brennen. Weiter geht’s zum Eingangsschacht auf ca. 4.600m.
Letzte Instruktionen, bevor wir im Gänsemarsch in die feuchte Dunkelheit vorrücken. Es geht gebückt entlang der Schienen, durch Schlammpfützen watend.  Der Helm sitzt deutlich besser, nachdem man ihn die ersten Male an die Decke gestoßen hat. Nach 5 Minuten drehen die ersten beiden Brasilianer um, sie haben Platzangst und trauen sich den weiteren Weg nicht zu – weise Entscheidung, bis hier hin war´s leicht. Kurze Zeit später hört man ein Poltern, wir rennen die letzten Meter zu einer Kurve, wo abseits der Schienen etwas mehr Platz ist. Kurze Zeit später taucht auch schon ein Wagen, randvoll gefüllt mit Steinen auf.
Gezogen wird er von zwei Männern, zwei weiter drücken. In unserer Nähe rutscht er von den Schienen, die Arbeiter gönnen sich Rast, bekommen Koka-Blätter und Süßgetränke, die angesichts der schweißtreibenden Arbeit besser sind als reines Wasser. Kurzes Gespräch, trotz der Schinderei sind sie freundlich und informativ, es ist ihre letzte Fuhre für heute. Gegen 18 Uhr machen sie normalerweise Feierabend, um 3 Uhr am nächsten Morgen geht’s weiter – für Feiern bleibt da wenig Zeit. Das Gewicht der Fuhre? Abhängig, meist zwischen 1.500 und 2.000kg! Mit vereinten Kräften wird der Wagen wieder auf die Schienen gesetzt und es geht die letzten Meter bergauf zum Schachtausgang. Echt bedrückend, die Kerle sind wohl jünger als ich, sehen aber deutlich älter aus. Weiter geht´s auch für uns. Weitere Wagen kommen uns entgegen, selbes Prozedere. Die Gespräche sind beklemmend, einer der Arbeiter hat ein altes Deutschland-Trikot mit der Nummer 14 an. Muss mal herausfinden, wer das war.
Die Stimmung in unserer Gruppe ändert sich, es wird kaum noch gesprochen. Die Schächte werden tiefer. Es gibt keine Belüftungssysteme, einige Balken, die die Decke abstützen sind in der Mitte angebrochen. Das Atmen fällt schwer, klar man ist in einer ungewohnten Höhe, zudem ist es in gebückter Position noch deutlich erschwert. Staub liegt in der Luft, ich versuche durch die Nase zu atmen, so gut es geht – gelingt nicht immer, der Weg ist zu anstrengend. Und das obwohl wir kein Gewicht vor uns herschieben. Wir machen uns auf den Rückweg, an der letzten Kreuzung geht ein Teil der Gruppe direkt die letzten Meter Richtung Ausgang.
Drei Brasilianer und ich entschließen uns noch dem Tio, dem Teufel bzw. Gott der Bergarbeiter, zu opfern. Hierzu müssen wir erstmal einen Gang entlang kriechen, der alles bisherige in den Schatten stellt. Auf Knien geht es vorwärts, trotzdem stoße ich mir den Rücken. Fotos werden keine mehr gemacht. Sind nur 10 Meter – danach geht es halbwegs aufrecht weiter. Um eine Kurve herum und da sitzt er vor uns. Der Tio, Onkel, breites Grinsen, karnevalsmäßig geschmückt – mehrer Zigaretten im Mund, das kann nicht gesund sein. Zu seinen Füßen eine weitere Opfergabe – ein Lama-Fetus! Wir bieten ihm unsere Zigarette dar und ruhen uns kurz aus. Unsere Reiseführerin erklärt uns den Hintergrund, wie es zum Begriff „Tio“ kam. (Ich bin aus irgendeinem Grund in der spanischen Reisegruppe gelandet, also gebe ich wieder was ich glaube verstanden zu haben;) ) Als hier die Sklavenarbeiter vor hunderten von Jahren eingeschlossen wurden, meist für mehrere Monate bzw. bis zu ihrem Tod, kam es zu Kommunikationsproblemen mit den Spaniern. Die Spanier sprachen davon einen Gott, deus, anzubeten. In der Eingeborenen-Sprache gab es aber kein „t“ in der Aussprache. Also wurde ein „teus“ draus, was die Spanier nicht kannten und zu einem „Tio“ ummodelten… Wie auch immer, die Statue ist 300 Jahre alt, ihr fehlt lediglich die rechte Hand und sie strotzt noch vor Manneskraft.
Wir machen uns aus dem Tunnel wieder ans Tageslicht. Auf der Talfahrt gerät man ins Grübeln. Die Männer sterben meistens nicht an Unglücken in der Mine. Oft ist bereits nach 10 Jahren wegen Staublunge Schluss – endgültig! Die Bedingungen sind hart, alt wird man hier nicht. Und wenn man einmal drinne ist, kommt man so schnell nicht heraus! Mir haben bereits zwei Stunden unter Tage gereicht!
Mit den Brasilianern geht’s dann abends noch Essen und ein paar Bierchen trinken, bis es für sie weiter nach Uyuni geht. Zu Sylvester in Cusco, Peru könnten wir uns wieder treffen. Mal sehen, ob ich so schnell reise. Angesichts der Regenzeit in Bolivien und Peru durchaus möglich.

Sonntag, 18. Dezember 2011

Von Wüste zu Wüste - Von San Pedro nach Uyuni

Ausnahmsweise schreibe ich mal nicht im Bus, im Flugzeug oder spät in der Nacht, das hat einen Grund: Es ist mein letzter Tag in Chile (hatte länger kein Wifi - das ist schon n paar Tage her ;) ) und ich habe gerade noch genug Kohle, um mir ein spärliches Abendessen zu leisten. Also vertreibe ich mir die Zeit mit Schreiben in der Hängematte – hat ja auch was. San Pedro de Atacama ist ein Touristenort…PUNKT! Als Ausgangspunkt für zahlreiche Wüstentouren strömen hier täglich zahlreiche Touristen (Backpacker und Pauschal) an. Wenn man mal von den gesamten Tourenanbietern, den zahlreichen Restaurants und den unzähligen Geschäften, die unnötigen Krimskrams zu überhöhten Preisen an den werten Chile-Urlauber bringen, absieht, muss das Örtchen mal vor einiger Zeit nur so vor Charme gesprüht haben. Eine Oase mitten in der trockensten Wüste der Welt (10mal trockener als die Sahara) mit seinen lehmfarbenen Hütten und der weißen Kirche. Asphaltierte Straßen? Fehlanzeige! Gegen den Staub fährt jeden Tag ein Tanklaster über die beiden Hauptstraßen und verwandelt diese kurzzeitig in eine Schlammsuppe. Auf die Dauer irgendwie dekadent.
Ich habe mich für zwei Touren entschieden, angesichts der sonst horrenden Preise sind diese echt im Rahmen. Mittwochs abends geht es zunächst ins Valle de la Luna (Tal des Mondes). Obwohl wir durch Mondlandschaften fahren, rührt der Name eigentlich von einem Mineral, welches hier abgebaut wurde, dessen Name dem griechischen Wort für Mond ähnelt. In 4 Stunden werden einige beeindruckende Aussichtspunkte angesteuert sowie eine Wanderung durch den heißen Wüstensand unternommen, vorbei durch riesige Salzkegel. Dem ultimativen Höhepunkt wird von einer Anhöhe eine Stunde lang entgegengefiebert – der Sonnenuntergang zieht sich, während die Schatten der Salzkegel im Tal immer länger werden. Wind frischt auf, ich friere, habe unterschätzt wie schnell es in der Wüste auskühlt – 15 weitere Tourbusse stören die Idylle.
Nach 4 Stunden Schlaf klingelt der Wecker am kommenden Morgen deutlich vor Sonnenaufgang. Mit etwas Verspätung brechen wir zur zweiten Tour auf: Sonnenaufgang über dem höchsten Geysir-Feld der Erde. Dazu müssen zunächst aber nochmal ca. 2.200 Höhenmeter auf 4.300m überwunden werden. Die Schotterpiste, bzw. vielmehr die mäßigen Stoßdämpfer, stört den Schlaf, der uns empfohlen wird, um den Höhenunterschied besser zu begegnen.

Als wir ankommen ist es schon hell draußen, das sonst so imposante Farbspiel, vom bläulichen ins gelbliche, bekommen wir daher nur gegen Ende mit. Die zuerst empfundende Enttäuschung hierrüber weicht aber recht schnell angesichts des Sonnenaufgangs – und der Tatsache, dass ich trotz Jacke, Mütze und Handschuhen bei minus 7 Grad ziemlich friere. Nach der Wanderung über das Geysir-Feld, wo sich eine Amerikanerin der anderen Gruppe durch seltene Dummheit auszeichnete (Was passiert wohl, wenn man seine Wasserflasche in den brodelnden Geysir stellt? Antwort: Man verbrennt sich bitterst die Hände, wenn man sie wieder versucht rauszuholen!), ging es in heißen Quellen baden. Der Rausweg gestaltet sich natürlich deutlich schwieriger als der Reinweg. Nach einer weiteren Fahrt durch die Wüste, in der wir u.a. eine Wasserstelle sowie ein altes Dorf besuchten (auch das zur Touristenattraktion verkommen), bin ich gegen mittags wieder im Hostel. Hängematte, 30 Grad und schreibe diese ersten Zeilen.

Am nächsten Morgen werden wir, ich und Nicki (eine Amerikanerin, die gerne mal über ihre Landsleute unterwegs lästert, um 8 Uhr für eine 3-tägige Tour nach Bolivien durch die Uyuni-Wüste abgeholt. Ausreisemodalitäten werden schnell geklärt (45 Minuten geht echt noch), danach geht es eine Stunde durch das Niemandsland, bis wir mitten in der Wüste auf den bolivianischen Grenzposten treffen. Highlight soweit war das Überholverbotsschild, mitten entlang einer schnurgeraden Strecke, welches das Überholen für 200m verboten hat – in der kompletten Stunde ist uns wohl nicht ein Auto entgegengekommen! Das Schild rettet Leben!

Kurz nach dem Frühstück am Grenzposten erreichen wir die Laguna Blanca. Flamingos schlürfen im seichten Wasser nach Krebstieren, denen sie ihre Färbung verdanken. Die Szenerie begeistert durch die Einfachheit. Wenige Farben, aber klar gezeichnete Konturen zwischen Lagune, Wüste, Vulkanen und Himmel – und über allem steht noch immer der Mond. Kurze Zeit später erreichen wir die Laguna Verde, die grüne Lagune hat ihren Namen ihrer Färbung zu verdanken, die von Kupfer- und Arsenablagerungen herrührt. Hier herrscht kein Leben, sieht aber trotzdem interessant aus! Weiter geht’s durch das öde Hochplateau. Öde ist hier nicht einmal negativ gemeint, man gewinnt Eindrücke, die man kaum verarbeiten oder beschreiben kann. Ich nicke manchmal weg, ob es am Ruckeln des Jeeps liegt? Wahrscheinlich auch an der Höhe, wir sind hoch – sehr hoch! Bei den geringsten Anstrengungen kommt man außer Atem. Unsere nächste Station führt uns zu heißen Quellen – 35 Grad klingen echt vielversprechend. Eine halbe Stunde Entspannung im „Pool“, ich relaxe und ahne nicht, dass ich in der Zwischenzeit bestohlen werde. Zurück im Jeep fällt mir sofort auf, dass etwas fehlt. Weder Pass, noch Geldbeutel, selbst der Laptop ist noch da. Nein, irgendwer hat mir meine 5l-Flasche gestohlen!!! Wir sind mitten in der Wüste, aber echt!

Vorm Lunchen kommen wir noch an einem Geysir-Feld vorbei. Es unterscheidet sich komplett von dem des Vortages – die Formen sind anders, außerdem riecht es mehr nach Schwefel. Mehrere breite, buntgefärbte Krater sind geöffnet, braune Brühe blubbert zu unseren Füßen.



Am Nachmittag fahren wir zur Laguna Colorado. Weiß und Rot gefärbt liegt sie zu unseren Füßen, zahlreiche Flamingos „grasen“ nach dem roten Plankton. Wind bläst uns den Staub um die Ohren, während wir am Ufer entlang wandern. Einige weißen Stellen kann man gefahrlos betreten, um ans Wasser zu kommen… Andere sollte man nicht betreten, wie unser japanischer Reisegefährte feststellen durfte – gut, dass er voran gegangen war und ich die Kamera griffbereit hatte. Die Nacht verbringen wir in einem 6-Bett Zimmer eines Refugios. Feuchte Wände und feuchter Boden lassen uns hoffen, dass es heute Nacht nicht regnet. Es wird bitterst kalt werden, Heizung gibt es keine…

Am nächsten Morgen klingelt der Wecker um 6 Uhr, ich hab nen Brummschädel…Die Höhe macht einen ganz schön zu schaffen, bin aber nicht der einzige! Nach dem Frühstück (Aspirin war ein Hauptbestandteil) geht es wieder auf Tour. Gleich zu Beginn müssen wir einen Bachlauf durchqueren und brechen dabei die dünne Eisschicht! Das Highlight des Tages, wie ich finde, kommt direkt zu Beginn. Wir erreichen den Arbol de Piedra – den steinernen Baum – bereits nach ca. einer Stunde. Eine interessante Felsformation, die einem Baum ähnelt. Vor allem fasziniert mich aber das Panorama, ohne das der Stein nicht in dem Maße zur Geltung kommen würde.

Es geht weiter, die Landschaft ähnelt der vom Vortag und mich drückt recht bald der Schuh bzw. die Blase. Mitten in der Wüste, keinen Baum in Sichtweite erleichtere ich mich. Immer schön nach dem Wind ausrichten, das Panorama genießen und aus dem Radio unseres Landrovers werde ich mit „Moskauuuu – Russland ist ein schönes Land…“ begleitet – irgendwie absurd. Weitere Stunden geht es durch diese Hochebene, vorbei an Lagunen, weitere Flamingos… Hochebene bedeutet tatsächlich eben! Wir sind auf 4.500 Meter über NN und unsere Strecke ist komplett flach. Wir erreichen unser Refugio am Rande der Uyuni-Wüste am Nachmittag, die 10 Stunden Fahrt haben sich nicht gerade angenehm auf meine Knie ausgewirkt, auf der Rückbank eingepfercht.
Nettes Hotel, anstatt Fließen ist alles mit Sand bedeckt. Warme Dusche, Lama-Steak zum Abendessen, dann spielen wir zu sechst Druko, bis uns der Strom abgeschaltet wird – das ist um 21 Uhr der Fall. Der Sternenhimmel ist der Beste, den ich jemals gesehen habe! Kein Licht stört den Blick, lediglich der Generator vom Nachbarhaus surrt in der Ferne. Man dreht sich im Kreis und staunt und es fehlen jegliche Worte, die einer Beschreibung gerecht werden würden.

Morgens geht’s wieder früh los. Nach 5 Minuten stehen wir bereits mitten in der Salzwüste. Lonely Planet berichtet von „amazing flatness“ – und tatsächlich. Weit und breit nichts, außer das Weiß des Salzes. Wir steigen aus und stehen in etwa 3cm-tiefem Wasser. Die Uyuni-Wüste ist im Verlauf des Jahres komplett unterschiedlich. Im Sommer ist sie völlig ausgetrocknet, während sie in der Regenzeit mit Wasser geflutet ist und sich der Himmel und die Berge spiegeln. Wir haben Beginn der Regenzeit – wir bekommen beides geboten.


Eine Insel wird angesteuert, kleiner grüner Hügel im weißen Meer. Viele Kakteen säumen diesen, wir wandern zur Spitze und genießen die Aussicht. Manchmal wünscht man sich eine Kamera für die 360Grad-Ansicht! Der größte Kaktus ist um die 9m – bedeutet ca. 900 Jahre alt! Damals waren die Europäer noch nicht auf dem Kontinent angekommen. Weitere Details: Die Uyuni-Wüste hat 12.000 Quadratkilometer – wenn sie nur einen Kilometer breit wäre, würde sie zu mehr als einem Viertel um den Erdball reichen (wenn ich mich nicht irre!). Die Salzkruste kann bis zu 10m betragen und sorgt für die umliegenden Dörfer als eine Haupteinnahmequelle. Ich spar mir an dieser Stelle einfach weitere Worte! Und werde dafür umso mehr Fotos reinstellen.

Nachmittags kommen wir in der Stadt Uyuni an. Hässlich, arm an Attraktion, vermüllt. Ein fetter Hund liegt faul am Wegrand, der Schwarm fliegen um ihn herum, unterstellt, dass er seine besten Tage hinter sich hat – wahrscheinlich alle Tage, wenn ichs mir recht überlege. Wir steuern den Zug-Friedhof etwas an. Massenweise ausrangierte Züge rosten hier vor sich hin. „Asi es la vida“ prangert als Graffiti auf einer Lok – so ist es! In dem Ort will ich nicht bleiben, nicht länger als unbedingt nötig.



Ich beschaff mir ein Busticket nach Potosi, der höchsten Stadt weltweit! Umgerechnet 3 Euro zahle ich für die 5-7 Stunden Fahrt, mir schwant böses. Um 19 Uhr geht’s los, dicht gedrängt, Schotterpiste, Stoßdämpfer gab es sicher auch mal. Raus geht es aus der Stadt beim letzten Tageslicht. Die Berge hoch auf engen Straßen.Ich Glücklicher habe einen Fensterplatz und schaue direkt in eine Schlucht, keinen Meter neben mir. Den Boden sehe ich nicht mehr, er liegt im Schatten. Warum fährt man solche Strecken eigentlich nachts, wenn die Fahrer kaum sehen können? Ich kann nicht behaupten, dass ich die Ruhe selbst bin, als wir zwei LKWs überholen. Kekse knabbern hilft auch nicht wirklich, hätte ich mal lieber den Rum gekauft oder Koka-Blätter… (Anmerkung: Koka-Blätter werden hier traditionell gekaut, helfen gegen Höhenkrankheit und halten wach – absolut legal! Kokain ist ein Derivat hieraus mit einigen weiteren Eigenschaften. Irgendwie vertreten die Amis die Ansicht, dass wer Koka-Blätter hat auch Kokain herstellen kann… Prinzipiell richtig! Und jeder der eine Waffe besitzt ist ein Mörder, ach ne das war anders – irgendwie eine komische Politik da oben… aber okay!) Im Laufe der Zeit nehmen die olfaktorischen Genüsse zu, halte die Nase aus dem Fenster, um dem standzuhalten! Pünktlich, etwas überraschend, kommen wir um kurz nach Mitternacht an. Nach den Tagen gönne ich mir ein besseres Hotel. Morgen wird die Stadt erkundet, ein besonderes Highlight wartet – der Cerro Rico, aber das ist eine andere Geschichte!

Mittwoch, 14. Dezember 2011

Tengo la derecha ser feliz

Santiago liegt hinter mir und ich bin von der Stadt begeistert, auch wenn ich zugeben muss, nicht wirklich viel gesehen zu haben. Am zweiten Tag habe ich zunächst den Versuch gestartet, meine Stadttour vom Vortag fortzusetzen… Es blieb beim guten Vorsatz. Mittagessen mit einem Couchsurfer, auf einem Markt, wo sich eigentlich nur Einheimische einfinden – 2 Euro für eine Portion Reis mit Huhn, die zu groß war, um sie komplett aufzuessen. Besonders lustig die Ampelmännchen, die je nachdem, wieviel Zeit noch übrig ist entweder langsam gehen oder in einen Sprint verfallen (werde mal schauen, wann ich ein Video bei youtube reinstellen kann). Danach ins etwas noblere Viertel Bella Vista. 3 Couchsurfer, mehrere Bierchen, gutes Essen, verdammt gute Zeit!!
Abends dann in Kontakt mit einer weiteren Couchsurferin aus Kolumbien getreten und für den nächsten Tag verabredet. Echt ne Süße, wir gehen in Bella Vista essen. Während wir uns unterhalten, werden wir kurz gestört. Sebastian, ein Typ mit dem ich mich 3 Wochen vorher im Bus von Torres del Peine sehr gut unterhalten hat, ist an uns vorbeigelaufen und hat mich erkannt. Auf Reisen trifft man sich immer zweimal, aber mitten in Santiago, das war schon ne Überraschung. Um den Nachmittag kurz zu fassen. Estefania, die Kolumbianerin, kommt aus Medellin (bekannt als Drogen-Hochburg in den 90ern), befindet sich zwei Monate auf Reise durch Chile und Argentinien und hat mich irgendwie in den Bann gezogen. Spricht fließend Englisch, obwohl sie nie eine Stunde hatte oder in einem englischsprachigen Land war – TV schauen mit Untertitel, warum auch nicht! Wir kaufen uns eine zweite Flasche Wein und setzen und in den Schatten bei Santa Lucia. Ihre Oma, zu der sie eine gute Beziehung hatte, ist am Tag ihrer Abreise vor zwei Wochen überraschend verstorben und es hat den Anschein, als tut ihr die Unterhaltung echt gut. Aber bis es Abends wird, haben wir auch noch manch angenehmeres Gesprächsthema. Irgendwann passiert was verwirrendes, sie fängt plötzlich an zu Schwanken, obwohl sie immernoch recht klar spricht. Ich bring sie zu ihr nach Hause, um sich auszuruhen. Sie will mich später anrufen, wenn sie etwas geschlafen hat. Ich rechne nicht wirklich damit, gehe zurück ins Hotel, packe meine Sachen und schau ne DVD, als sie sich tatsächlich um 23 Uhr bei mir meldet. Sie kommt vorbei, wir gehen noch Abendessen und ein paar weitere Weine killen. Das Gespräch kommt mir wie ein Deja-Vu vor – sie erinnert sich quasi an nichts mehr, was in der letzten Stunde nachmittags passiert ist oder gesprochen wurde… An fast nichts;) Wir verabschieden uns 4 Stunden später, zum ersten Mal bereue ich es, dass ich bereits am nächsten Tag weiter nach San Pedro in den Norden Chiles aufbreche. Ich bekomme eine Einladung nach Medellin, der ich definitiv nachkommen werde.
Gegen Mittag des Folgetages geht’s zum Flughafen. Flug nach Calama, mit Zwischenstopp im Niergendwo, danach noch 2 Stunden Busreise nach San Pedro. Während des Zwischenstopps fordert mich die Stewardess zu irgendetwas auf – ich verstehe nichts. Auf ihrem Rückweg vom Cockpit spricht sie mich erneut an, ernergisch, ultimativ! Ihre Handbewegung signalisiert: Ich solle gefälligst den Gurt öffnen. Gott weiss, was daran gefährlich ist, den Gurt nicht zu öffnen, während das Flugzeug stillsteht, aber diesem unnötigen Risiko wollte ich mich dann doch nicht aussetzen. In Calama steige ich um in den Bus, habe Glück, muss nur 20 Minuten warten, bis es los geht.
Ein Kind spielt mit seiner Plastik-Maschinenpistole. Das nervtötende Rattern wird durch den Ausruf „Fire“ alle paar Sekunden verstärkt, während das Kind versucht, alles und jeden ins Jenseits zu befördern. Man waren das Zeiten, als ich meine Spielzeugpistole alle 6 Schuss mit Platzpatronen bestücken musste. Ein alter Mann kommt die Treppe zum Bus herauf geklettert. Gestützt auf einer Krücke hält er eine Gitarre in der Hand, während er sich behäbig durch den Gang schleppt. Auf halber Höhe stoppt er, legt die Krücke beiseite und stimmt ein Lied an – und übertönt dankenswerterweise den Kleinen mit der Knarre. Ich verstehe wenig, nur soviel: „ Tengo la derecha ser feliz!“… wenn mich nicht alles täuscht sollte es heißen: „Ich habe das Recht glücklich zu sein!“ Wie wahr! Der Zwerg ist vergessen, gedanklich befinde ich mich in Santiago. Verdammter Latina-Charme und verdammte Latina-Musik. Viel zu früh hört der Alte auf zu spielen und wir fahren los durch die Stein- und Sandwüste. Die Vorhänge werden als Schutz vor der Sonne zugezogen, trotzdem schiele ich durch einen Spalt nach draußen und entdecke ein Schild: Angler, der eine Forelle fängt! Und ein Schriftzug, der auf ein Projekt zur Ansiedlung von Forellen hinweist. Sehr ambitioniertes Unterfangen, ich sehe nichts außer Geröll und Staub. In San Pedro angekommen, mache ich mich auf die Suche nach einem Hostel. Nachdem es nach einer Stunde dunkel wurde, ich immernoch nichts habe, beginnen langsam die Gedanken… Komme dann doch noch in einem recht idyllischen Hostel unter. Lehmhütten, Hängematten, Hippies – hier gehör ich hin. Mit mir auf der Bude ein Oswaldo. Chilene, der in Paris wohnt und das erste Mal in 43 Jahren seine Heimat besucht. Illustrer Bursche, er erlaubt mir am Abend mit ihm in Englisch zu sprechen, weil ich sicher erschöpft sei. Ab dem Folgetag spricht er nur noch Spanisch mit mir – er macht es wahr.
Abends am Lagerfeuer ein paar Bierchen gezischt und eine Lama-Empanada verzehrt und dabei den Sternenhimmel angeschaut. Das macht man einfach zu selten. Heute die Weiterreise nach Uyuni, Salzwüste in Bolivien, gesichert und zwei weitere Ausflüge gebucht. Heute Abend gibt es nen Sonnenuntergang in der Wüste und morgen früh soll über einem Geysir-Feld die Sonne aufgehen – ich bin gespannt, stehe extra um 3:30 Uhr dafür auf. Mehr über Atacama und die Stadt San Pedro in den kommenden Tagen.

Sonntag, 11. Dezember 2011

Cachay?

Bei meiner Abfahrt strahlt die Sonne wieder über Bariloche – na schönen Dank auch! Die erste Etappe nach Osorno soll 4-6 Stunden gehen, je nachdem, wielange uns die Grenzpolizei aufhält. In meinem Bus fährt eine Gruppe argentinischer Jugendlicher mit, deren Outfit und Haarpracht an ihre Idole der 70er Jahre erinnert, ich stell mich also auf eher 6 Stunden Fahrt ein. Einer rülpst und die ganze Gruppe antwortet mit einem deutlichen „Schulz“ und klopfen sich gegenseitig auf die Rübe – deutscher Einfluss ist stark um Bariloche! Auf Landstraße geht es vorbei an himmelblauen Seen, die bei strahlendem Sonnenschein um ein Vielfaches attraktiver erscheinen.
Nach dem argentinischen Grenzposten fahren wir noch 30 Minuten durchs Niemandsland, die Landschaft verändert sich, während wir den Serpentinen folgend immer höher kommen. Immer mehr alte, knöchrige, tote Bäume säumen die Strecke und sorgen neben Gebirgsflüssen für unwirkliche Szenerie. Der Himmel zieht sich zu, und der Boden wird immer mehr von einer grauen Schicht bedeckt, teils meterhoch – das kann keine Asche sein. Minuten später fahren wir durch eine Mondlandschaft. Keine Pflanze lebt mehr. Einen See erkenne ich an den schemenhaften Umrissen und einem etwas dunkleren Grauton. Die Bäche führen eine braune Brühe runter ins Tal. Es ist tatsächlich Asche! Meterhoch!
Am chilenischen Grenzposten dürfen wir uns im Kreis aufstellen, Taschen zu unseren Füßen. Ein Drogenspürhund geht im Innenkreis an uns vorbei und schnüffelt – chilenisches Glücksrad. Beim zweiten Durchgang findet er gefallen an meinem linken Schuh, dann zieht ein Mann seine Aufmerksamkeit auf sich – er isst einen Hot Dog. In Osorno gibt es tatsächlich jede Menge Auswahl für den Anschluss nach Santiago. Beim ersten Anbieter entscheide ich mich für ein Ticket für umgerechnet nicht mal 15 Euro. 3 Stunden Aufenthalt schlage ich mir in der Cafeteria mit Empanadas und MTV um die Ohren. Shakira trällert und schmachtet auf der Bühne und sieht dabei einfach gut aus – ich freu mich auf Kolumbien, mal schauen, ob sie gerade ein Konzert gibt. Ich unterhalte mich etwas mit dem Wirt und bestelle mir auf sein Anraten einen Whiskey gegen die Erkältung. Er meint es gut mit mir – doppelte Portion, viel hilft viel! In den Top 3 taucht ein alter Bekannter auf, Ricky Martin! Hier darf er noch von Liebe und Herzschmerz trällern – wenn auch nur im Duett. Mit etwas Verspätung steig ich in den Bus, schlagartig wird klar, warum er so günstig war… HOLZKLASSE! Am nächsten Morgen komme ich etwas versteift, dafür aber mit ziemlicher Verspätung und hoffnungslos übermüdet in Santiago an. Ein leichter Smog-Nebel liegt über der Stadt und erschwert den Blick auf die umliegenden Hügel. Nach so einer Nacht genehmige ich mir etwas Luxus, Hotel Paris, Einzelzimmer für 22 Euro!
Meine Beine möchte ich mir auf einem Stadtspaziergang a la Lonely Planet vertreten. Erster Halt: Kaffee trinken in der Nationalbibliothek. Cafe geschlossen, dafür aber kostenloses Internet. Kurze Info bei Couchsurfing hinterlassen, dass es mich gibt, dann weiter zu Santa Lucia. Hügel, alter Gemäuer, botanischer Garten. Erholungsgebiet vor dem Trubel der Stadt und Rückzugsort für Verliebte. Ich genieß die Aussicht über die Stadt, als mein Telefon klingelt…Unterdrückte Nummer. Rudolfo meldet sich, er würde mich gerne zu einem BBQ mitnehmen. Ich kenne ihn nicht, ich weiss nicht genau wo es hin geht und habe nur einen Vornamen – natürlich sage ich zu! Vorher aber noch kurz eine Freundin über den letzten Aufenthaltsort informiert;). Während ich in einer Bar warte, melden sich noch drei andere Couchsurfer – hier funktioniert die Community!
Rudolfo kutschiert mich zu einem großen Park, wo die halbe Stadt diesen Sommertag nutzt, um zu grillen und zu entspannen. Wir sind eine Gruppe aus 25 Couchsurfern, Stunden mit anregenden Gesprächen, viel Bier und Wein und noch viel mehr Fleisch folgen. Man versucht mir den chilenischen Slang beizubringen. Das einzige was hängen bleibt ist „Cachay“, was prinzipiell hinter jeden Satz gehängt werden sollte und sich am ehesten mit dem Jack Sparrowschen „Klar soweit?!“ übersetzen lässt. Abends habe ich die Wahl zwischen einer Abschiedsparty in einer Bar oder einem Konzert für die Menschenrechte. Im Kleinwagen machen wir uns zu acht auf dem Weg zum Konzert, recht kuschelig. Kostenloser Eintritt, wir kommen rechtzeitig zur Zeremonie der Erinnerung an die Verfechter der Menschenrechte und dem Opfer in diesem Kampf. In Zeiten der Studentenproteste in Chile hat das Thema wieder aktuelle Bedeutung gewonnen.
Hinter einer Kirche geht die Sonne unter, als der erste Act sich mit Pauken und Trompeten (ehrlich!!) seinen Weg durch die Zuschauer Richtung Bühne bahnt. Es wird direkt gefeiert! Im Stile einer Janis Joplin, barfuß und mit Accoustik-Gitarre klagt die nächste Sängerin die Mächtigen des Landes an. Polizei, Regierung, Korruption und Unterdrückung sind die Feindbilder des Abends. Die Stimmung steigt, kein Interpret lässt sich die Chance entgehen ein paar persönliche Worte Richtung Polizei und Regierung zu schicken – ich verstehe recht wenig, der Menge gefällts und mich reist es mit.
Wieder ein Solo-Künstler, erinnert an Bob Dylan, Accoustik-Gitarre, Mundharmonika, sitzt auf seinem Stuhl hinter ihm ein Spruchband, welches auffordert alle politischen Gefangenen freizulassen… Peace Zeichen, der süße Geruch von Mariuhana steigt auf – es scheint besser zu werden mit meiner Erkältung, ich kann wieder riechen. Jetzt geht´s in die Endphase. Eine Rap-Band tritt auf und heizt das Publikum weiter an. Rote Flaggen werden geschwenkt. Bange Blicke zu den Eingängen, die letzter Veranstaltung dieser Art wurde vorzeitig beendet – stilecht mit Tränengas und Wasserwerfern! Die ersten verlassen die Arena, Eltern mit ihren Kindern. Kapuzen werden tiefer ins Gesicht gezogen, sollen sie doch kommen – heute fühl ich mich links, meiner Vorfreude steigt – das ist das Leben! Aber es bleibt ruhig.
Ein kleiner Absacker bzw. Frühstück noch in einer Bar. Dann laufen wir zu dritt durch dunkle Gassen auf der Suche nach einem Taxi. In einer Seitenstraße liegt ein Mann verkrümmt auf dem Boden, zwei Hunde stehen über ihm und wedeln schon freudig mit dem Schwanz. Ein Taxi-Fahrer steht daneben und macht sich nicht mal die Mühe, die Hunde zu verscheuchen. Das war das Leben. Wir gehen weiter und nehmen das nächste Taxi.