Unser Kanu gleitet durch die schwarze, glatte Wasseroberfläche des Rio Carrao. Das Dröhnen unseres Yamaha Außenborders in den Ohren, spritzt die weiße Gischt an uns vorbei - wenn der Wind günstig steht... Der Wind steht selten günstig und wir werden trotz Regenschutz mächtig nass. Undurchdringliches Grün säumt die Ufer zu beiden Seiten. Immer wieder versuchen Schmetterlinge den Fluss zu überqueren und weichen im letzten Moment der Gischt aus. Nicht allen gelingt es, sie enden als Fischfutter - der Kreislauf des Lebens. Wir sind auf dem Weg zum Salto Angel, dem mit 979m Gesamthöhe der höchste Wasserfall der Welt.
Bereits gestern bin ich in Canaima angekommen. Der Flug in der kleinen Cessna gab einen ersten Vorgeschmack auf das was uns erwartet. Bei der Landung erhasche ich einen Blick auf die palmengesäumte Lagune, in die sich sieben Wasserfälle ergießen. Unser komplettes Camp wird von der dortigen indigenen Bevölkerung, den Pemon, geführt. Nachmittags nehmen uns unsere Guides auf die andere Seite der Lagune. Die kleine Wanderung führt uns zu einem Wasserfall auf der anderen Seite, der Ausblick ist fantastisch und erinnert an die Szene aus König der Löwen, als Simba seinem Volk präsentiert wird. Wasserfälle, weite Steppe und am Horizont türmen sich die Tepuis, die für die Landschaft typischen Tafelberge, steil gen Himmel. Wir wandern zum Fuss des Wasserfalls und haben die Möglichkeit auf Socken hinter die Fälle zu gelangen. Ein feucht fröhliches Unterfangen! Den Wet-T-Shirt Contest haben defintiv unsere beiden Guides Joseline und Fabiola gewonnen ;)
Und jetzt fahren wir also zum Salto Angel. Immer wieder erschweren Stromschnellen die Fahrt, Wellen schwappen in unser Boot... Sorgen aber auch für jede Menge Spaß! Wir biegen in den kleineren Rio Churun ein, das Wasser wird flacher. Vor uns türmt sich der mächtige Auyantepui auf, aus dem der Salto Angel erspringt. Benannt ist der Fall nicht etwa nach den Himmelsgeschöpfen, sondern nach seinem (Wieder-)Entdecker Jimmy Angel, einem Buschpiloten. Keiner wollte seiner Entdeckung glauben schenken, also startete er zu einer zweiten Expedition und landete auf dem Tepui. Dummerweise blieb sein Flieger im Sumpf stecken und Jimmy musste sich 14 Tage lang mühsam einen Weg von diesem Berg suchen. Angesichts der Steilwände sicherlich kein leichtes Unterfangen. Auch wenn alle Welt bis heute vom Salto Angel spricht, wurde dem Wasserfall vor einigen Jahren wieder sein ursprünglicher Pemon-Name Kerepakupai-Meru zugesprochen.
Jetzt zu Beginn der Trockenzeit ist zwar bereits etwas weniger Wasser vorhanden, aber der Anblick ist trotzdem impulsant! Auf ein Foto ist die komplette Fallhöhe kaum komplett drauf zu bekommen - handgestoppte 40 Sekunden benötigt das Wasser von oben, bis es als feiner Sprühregen auf die Felsen trifft. Und alles in der atemberaubenden Schönheit des Canaima-Nationalparks!
Für mich geht ein Traum in Erfüllung. Bereits vor meiner großen Südamerika-Tour vor 4 Jahren habe ich einen dicken Kringel um den Salto Angel gemacht, konnte es damals aber noch nicht realisieren. Meine Erwartungen wurden nicht enttäuscht.
Der Abstieg zum Camp ist nicht unbeschwerlicher als der Aufstieg. Im Dschungel wird es schnell dunkel und Erschöpfung verbunden mit rutschigen Steinen fordern ihren Tribut. Die letzten Meter gehen wir in kompletter Dunkelheit. Im Camp wartet eine kalte Dusche und ein leckeres Abendessen auf uns. Der Generator wird um 20 Uhr ausgestellt. Die Nacht verbringen wir in Hängematten - es wird sehr kalt! Ich wache noch vor Mitternacht auf, mein Kopf pocht. Ich will kurz aufs Klo, finde mich dann aber einige 100m weiter am Fluss wieder. Ein paar Glühwürmchen leisten mir Gesellschaft. Zurück in der Hängematte friere ich die Nacht hindurch. Zum Schlafen komme ich kaum, mir geht es wirklich nicht gut. Übermüdet geht es auf den Heimweg. Die Arschbacken schmerzen vom Sitzen auf den Brettern im Kanu - der Ausblick entschädigt.
Kurzes Mittagessen im Basis Camp. Eine neue Gruppe ist morgens angekommen, u.a. ein Holländer, der wie ich versucht auf eigene Faust durch Venezuela zu reisen. Am frühen Nachmittag geht die Cessna zurück; ein letzter Blick auf die Lagune und die Wasserfälle! Canaima ist wahrlich ein Paradies auf Erden.