Freitag, 2. März 2012

Irgendwo im Nirgendwo – aber auf dem Amazonas

Während ich noch am Flughafen sitze, mit dem Gedanken spiele, mir ein Sandwich bei Subway zu gönnen, spricht mich Diane an – sie hat meinen Pass als deutschen erkannt. Diane, Mitte 30, Fotografin aus Berlin, befindet sich auf 4-Wochen-Trip durch Kolumbien und ist jetzt ebenfalls auf dem Weg nach Leticia, wo sie von Freunden eines Freundes erwartet wird. Klingt immer vielversprechend, wenn man leicht an lokale Kontakte rankommt. Landeanflug auf Leticia, unter uns schon für Minuten nichts anderes als Dschungel. In niedriger Höhe überfliegen wir ein letztes Mal den Amazonas – es dauert 40 Sekunden, der Fluss ist riesig! Ich steige in der Mahatu-Jungle-Lodge ab. Die Anfahrt geht über einen 100m langen Weg, der beidseitig von Seen umrahmt ist. Gustavo, unser Wirt, hat in Belgien studiert und spricht fließend Englisch. Wir gehen die Pläne für eine Dschungel-Tour gemeinsam durch, später geht es in den städtischen Park. Hier spielt sich jeden Abend ein Spektakel ab, wenn tausende Papageien lautstark zu ihrem Schlafplatz zurückkehren – menschliche Konversation unmöglich! Abends treffen sich Diane und ich zum Abendessen mit Ivan und Daniel, die beiden Brüder sind ihre örtlichen Kontakte. Während ich mich mit Daniel unterhalte, fällt mir zunächst nicht auf, dass wir uns auf Deutsch unterhalten. Seine Ehefrau kommt aus Mainz und im April geht’s zurück nach Deutschland für ihn, um seinen Master anzugehen. Die Unterhaltung wird dreisprachig fortgesetzt.

Die Jungs haben eine Bar mit lokalen Köstlichkeiten für uns rausgesucht. Wenn man am Amazonas ist, so erklären sie mir, muss man mindestens einmal Mojojoy gegessen haben. Dabei handelt es sich um eine Spezialität, eine fette Raupe, die sich von Yuka ernährt. Ich lass mich drauf ein, bin aber doch verwundert, als das Vieh auf dem Teller liegt und versucht zu fliehen… Klar es hat Todesangst, aber ich dachte, es wäre gegrillt oder so. Die Anweisung für den Verzehr lautet wie folgt: „Schnell Kopf abbeißen, denn es kann zurück beißen! Ausspucken, den Rest in den Mund, kauen und runterschlucken!“ Tatsächlich dauert es etwas länger, Selbstbeschwörung, die meine Eltern noch daher kennen dürften, wenn früher Brokoli auf den Tisch kam. Endlich bin ich soweit: Kopf ab, das Ding ist zäher als ich dachte… Ich kann nicht sagen, wonach es schmeckt – war zu fokussiert! Aber dem Gesicht nach zur urteilen: Brokoli! (entsprechende Fotos meiner Heldentat werde ich baldmöglichst nachliefern...)

Morgens machen sich Diane und ich per Boot zur Marusha-Lodge, einem Naturreservat auf der peruanischen Seite. Während der Überfahrt können wir einige Delfine beobachten. Der rosa Delfin ist so etwas wie ein Wahrzeichen für den Amazonas, die kleineren Exemplare sind noch grau. In der Mythologie einiger indigener Stämme kommt der Delfin nachts in der Gestalt eines Senors aus dem Wasser, um junge Frauen zu verführen. Auch Schwangerschaften, wo der Vater nicht bekannt ist, werden so erklärt – es gibt sogar entsprechende Geburtsurkunden, wo der Delfin als Vater eingetragen wird. Klingt witzig? Naja, die Story mit dem heiligen Geist, die Maria dem Joseph aufgetischt hat, ist ja auch eher speziell…;)

Unser Guide nimmt uns in Empfang, normalerweise steht ein längerer Fußmarsch zur Lodge an. Aktuell ist aber Regenzeit, der Amazonas-Pegel ist manchmal bis zu 15m höher… Also paddeln wir in einem Einbaum dicht unter den Baumkronen entlang. Die Lodge liegt idyllisch am Rande eines Sees. Nur, dass jetzt eh alles unter Wasser steht (einige Wildtiere aus dem Regenwald haben direkt unter unserer Hütte Zuflucht gefunden, da ist noch ein Stück Land). Zudem stört eine Schulklasse die Idylle – gelangweilt von der Stille und der Natur wir gekreischt, geschrien, gestört… echt schade und mega respektlos!
Tagsüber paddeln wir den See ab und mit genügend Abstand zur Lodge kann man auch den Geräusche des Waldes lauschen. Unweit unserer Hütte befindet sich ein Urwald-Riese; ca. 450 Jahre alt, 54m hoch und der Stamm bis zu 8m breit! Unterwegs können wir verschiedene Vogelarten beobachten, die entweder in den Bäumen nach Nahrung oder die Wasseroberfläche nach Fischen absuchen. Am Rand des Sees befinden sich riesige Seerosen, auf den wahrscheinlich auch ein Mensch halt finden könnte – Durchmesser bis zu 1,5m! Die Blüten öffnen sich nur am Abend und über Nacht und „leben“ nur für etwa 48 Stunden.

Nach einer Pause geht es bei Dunkelheit nochmal auf Tour. Im Licht der Taschenlampen reflektieren die Augen der Kaimane. Kurz bin ich enttäuscht als ich Charles (unsern Guide) nach ihrer Größe frage und er mit „Pequeno“ antwortet. Er schiebt aber ein „max. 5 metros“ hinterher… Es geht direkt rein in den Wald, sieht aus, als würden wir durch einen Tunnel rudern. An den Bäumen sind riesige Tausendfüßler und Handteller-große Spinnen. Durch die Wipfel erkennt man den klaren Sternenhimmel. Aber auch auf dem Wasser gibt es eine Milchstraße. Winzige Insekten sitzen auf den Wasserpflanzen und leuchten vor sich hin. Plötzlich ein lautes Plantschen direkt vor unserem Kanu – Charles hat einen kleinen Kaiman entdeckt und ihn direkt mit der Hand gefangen. Eigentlich mag ich solche Aktionen nicht, aber nachdem Schnappi schon mal im Boot ist, kann ich die Handtasche auch mal anfassen. Danach setzen wir ihn zurück ins Schilf, hoffentlich wird er in einigen Jahren nicht dasselbe mit uns machen, falls ich wieder zurückkomme.

Vor Sonnenaufgang stehen wir bereits wieder auf. Im Zwielicht der Dämmerung durchbrechen Vögel die spiegelnde Wasseroberfläche. Papageien kreuzen in kleinen Gruppen den See, sehr schlechte Flieger – zwischen den einzelnen Flügelschlägen sacken sie merklich ab. Zurück im Hotel beobachte ich einen Tukan. Mit einer Mangoschale in der Hand komme ich dicht an ihn ran, dann schnappt er sie mir weg. Als ich mich neben ihn ans Geländer lehne, beißt er mir in den Arm – Drecksack!








Am frühen Nachmittag nehmen wir das Schnellboot nach Puerto Narino. Unser Hostel ist einige Kilometer außerhalb gelegen und beherbergt fünf (teilweise sehr aggressive) Papageien und einige kleine Äffchen. Gut, dass wir Gummistiefel dabei haben, der Weg führt uns Hochwasser-bedingt über den schlammigen Friedhof – später nachts noch ein zweites Mal, man hätte ne Taschenlampe mitnehmen sollen. Mit einem Boot geht es morgens zu einigen Seen in der Nähe. Ist interessant zu sehen, wie sich das dunkle Wasser der Seen mit dem bräunlichen Wasser des Amazonas nur sehr langsam vermischt.

Wieder tauchen einige Delfine auf, aber nie an der Stelle, wo ich sie mit der Kamera erwarte. Zum Frühstück treffen wir uns mit Juan in seiner Hütte. In Puerto Narino ist er für seine Schokolade berühmt – 100% Schoko, kein Zucker keine Chemie. Zunächst betört einen der Geruch, später dann auch der Geschmack – richtig gutes Frühstück, zubereitet über Kohlefeuer. Zum Nachtisch ein Kupuasu-Wassereis (auch keine Ahnung, wie man es schreibt), über den Namen habe ich einige Tage schon gerätselt, irgendwie kam er mir bekannt vor. Beim Geschmack des Eises erinnere ich mich wieder dran. Es gab mal einen Pseudo-Fruchtsaft von Punika mit exakt diesem Geschmack!

Mittags mache ich mich mit dem Speedboot zurück nach Leticia. Tags drauf startet eine 3tägige Amazonas-Flussfahrt und es gilt sich noch entsprechend vorzubereiten. Samstag Vormittag stehe ich bereits als einer der ersten in der Schlange, um einen guten Platz für meine Hängematte zu finden. Mein Rucksack ist voll gepackt mit 5l extra Wasser, haufenweise Snacks und einem Dutzend Mangos (das Essen an Bord soll nicht gut sein) – und daher circa 30kg schwer… Als die Beamten mich kontrollieren wollen, verzieht es mir den Rücken! Top-Voraussetzung für drei Nächte in der Hängematte.

An Bord treffe ich auf Max aus Kanada und Fernand aus Costa Rica, neben drei weiteren Deutschen sind wir die einzigen Gringos an Bord! Nachdem die Hängematten hängen, starten wir mit den ersten Bierchen. Viel zu berichten gibt es nicht, der Wald ist grün, der Fluss ist braun – hin und wieder eine Siedlung oder mal Delfine. Immerhin ein beeindruckender Sonnenuntergang und toller Sternenhimmel in der ersten Nacht.



Im Mitteldeck ist es unterdessen richtig voll geworden, circa 100 Hängematten hängen dicht gedrängt, neben- teilweise übereinander. An Schaukeln ist nicht zu denken, wie Rinderhälften im Schlachthaus! Der vorgegebene Ablauf aus 6 Uhr Frühstück, 11 Uhr Mittag und 17 Uhr Abendessen wird durch Snacks, Bierchen und der untertägigen Schlafroutine (Late-Morning-Nap, Early-Afternoon-Nap und Late-Afternoon-Nap) bereichert. Trotzdem bleibt noch ausgiebig Zeit, den Blog zu schreiben und die Flaggen auf den Rucksack zu nähen. Alles wird gemacht, um sich die Zeit zu vertreiben – die Fahrt ist echt lang! Dann, Dienstag am frühen Morgen, ich wache aus dem Dämmerzustand auf und sehe einige Leute an der Reeling. Um 5 Uhr morgens laufen wir in den internationalen Hafen von Manaus (immerhin 1.300km weg vom Meer) ein. Aus Sicherheitsgründen wird uns Gringos ausdrücklich erlaubt, ab 6 Uhr von Bord zu gehen.
Nach dem Frühstück mit den Jungs geht’s an den Flughafen. Ich will an den Strand von Natal, im Nordosten Brasiliens. Die Buchung gestaltet sich als schwierig, man akzeptiert nur lokale Kreditkarten und an den Geldautomaten bekomm ich nicht genug Kohle, um den Flug bar zu bezahlen. Es fehlen circa 50 Reais (etwa 20 Euro). Also werden die letzten Dollar umgetauscht. Als ich zurück ins Reisebüro komme stellt sich raus, mir wurde vom System ein Rabatt eingeräumt – naja, immerhin hatte ich jetzt genug Kohle! Nachts um 2 Uhr komme ich in Natal an und fahre mit allem Gepäck direkt zu einer Bar, wo ich auf meinen Kumpel Henrique und einige Couchsurfer treffe. Gefeiert wird bis ca. 5 Uhr – dann wird die Hängematte in seiner Wohnung aufgespannt. Ab jetzt steht Beach-Time auf dem Programm – endlich!


4 Kommentare:

  1. Hi Benni - wieder zwei tolle Berichte und schöne Fotos! Der Sonnenuntergang am Amazonas taugt als Bildschirmhintergrund - kannst Du vorab gerne mal per Email rüber reichen. Genieße Deine letzten 3 Wochen - eigentlich ist das ja jetzt Dein "richtiger Urlaub". Und bringe uns die Sonne mit. Den Winter haben wir langsam satt.
    Bis dann - alles Gute
    Dein Dad

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  2. Reservoir Marasha und Puriche de Copuazu :)

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  3. Hi Benni,

    ich oute mich mal als stiller Leser. :o)
    Witzig, was Du so erlebst, die Raupe der letzten Tage ... neee, nie, never ever.... Hut ab.

    Liebe Grüße,
    Jessika

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  4. Hi ihr,

    bin über jeden stillen Leser - der auch mal nen Kommentar da lässt - dankbar ;)

    Sodele, jetzt erstmal den neuen Beitrag schreiben;)

    Grüße
    Benni

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